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Libanon vor der Wahl - ein Land im Umbruch
Die Kinder von Schatila.
Eine vergessene Generation von Palästinensern im Libanon.
Palästina in der UNESCO – ein kurzer Erfolg.
Droht jetzt die 3. Intifada?

 


Palästina in der UNESCO – ein kurzer Erfolg. Droht jetzt die 3. Intifada?

Pressedienst
28.6.2012


Am 31. Oktober 2011 wurde die Aufnahme in Ramallah frenetisch bejubelt. Seither wird aber die Situation der Palästinenser zunehmend bedrückender. Das überträgt sich auf fast jeden, der derzeit in den Nahen Osten reist und an Checkpoints am eigenen Leib erfährt, was für die Einheimischen täglicher Albtraum ist. In Jenin und Nablus spricht man ganz offen von der 3. Intifada.


Meine Reise nach Israel und Palästina im Frühsommer 2012 beginnt am Flughafen in München mit einer Überraschung: Ich gehöre zu einer kleinen Reisegruppe, die sich aus Journalisten und Nahost-Kennern zusammensetzt, darunter eine jüdische Journalistin die Israel vor 20 Jahren verlassen und die Staatsbürgerschaft zugunsten der deutschen abgelegt hat. An der eigens für Flüge nach Israel und Palästina eingerichteten „Halle F“ wird die Kollegin aus der Schlange herausgewunken und in eine Kabine gebeten. Als sie eine gute Stunde später wieder zu unserer Gruppe stößt, ist sie blass um die Nase – sie musste sich vollständig entkleiden und einer körperlichen Untersuchung unterziehen. Ihr Mobiltelefon musste sie abgeben, weil es, so das Sicherheitspersonal, auf Sprengstoff untersucht werden müsse.


Bei brütender Hitze von 30 Grad Celsius im Schatten kommen wir vollzählig in
Ramallah an, von wo aus wir unsere Reiseziele ansteuern werden. Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass einige Kollegen und ich zum letzten Mal hier waren, doch es hat sich viel verändert. Zuerst fallen uns die vielen Neubauten und Bauprojekte ins Auge. Ramallah ist das wirtschaftliche Zentrum Palästinas und das kann man an allen Ecken der Stadt in Form des Bau-Booms sehen. Auf dem Al Manara-Platz in der Stadt gibt es kleinere öffentliche Demonstrationen. Ebenso eine Alternativdemo am Unabhängigkeitstag in Jerusalem vor dem Innenministerium, bei der die Demo von Studenten und Künstlern mit ihren Sketchen eher wie eine Kulturveranstaltung anmutet. Prominente Vertreter der israelischen Friedensaktivisten, wie Michel
Warschawski, nehmen ebenfalls daran teil und sind schnell mitten in einem
intensiven Meinungsaustausch mit den Studenten.


Eine gedrückte Stimmung liegt über dem Land

„Die Menschen wollen Frieden, sie wollen arbeiten und eine Zukunft für ihre Kinder“, erklärt uns Polizeioffizier Kalil. Trotzdem fürchtet er, dass die Ruhe, die speziell in Ramallah durch den wirtschaftlichen Aufschwung herrscht, trügerisch ist. Wir erleben in der Tat eine sehr gedrückte Stimmung. Wie wir hören, liegt das auf Seiten der Palästinenser auch an der Reaktion des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu auf die Aufnahme Palästinas in die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Noch am Abend der Aufnahme-Entscheidung kündigte er an, in Ost-Jerusalem sowie in der Westbank weitere 2.000 Wohnungen zu bauen. Außerdem drohte Israel, Zahlungen in Millionenhöhe zu stoppen, die der Autonomiebehörde in Ramallah zustehen sowie die Steuer- und Zollrückzahlungen an die Palästinenser. Die USA als größter Geldgeber, sowie Kanada, froren die Zahlungen an die UNESCO vorerst ein.


Im Verlauf der nächsten Tage hören wir des Öfteren von einer nicht richtig greif- oder sichtbaren Unruhe in der palästinensischen Bevölkerung, sie ist diffus überall spürbar. Polizeioffizier Kalil drückt aus, was viele denken und nennt die Stichworte:„Behinderung des palästinensischen Warenexports“, „Siedlungsbau“ und„Wasserzuteilung“. Er rechnet in absehbarer Zeit mit der schon mehrmals angekündigten 3. Intifada. Die nach seinen Worten hoffentlich mit friedlichen Demonstrationen und ohne offene Gewalt stattfindet. Zum Wasserproblem berichtet uns der Hydrogeologe Clemens Messerschmid, dass seit den „Oslo-Verträgen“ von 1993 die Palästinenser nur von Israel genehmigte Wasserbohrungen durchführen dürften. Da Genehmigungen nur sehr selten erteilt werden, sind nur kleine Mengen Wasser pro Kopf in Palästina verfügbar (zum Vergleich: durchschnittlicher Wasserverbrauch pro Person und Tag: Deutschland 126 Liter, Israel 245 Liter, Palästina 63 Liter).
Die palästinensischen Bauern werden teilweise durch Wegsperrungen behindert, sodass sie auf dem Weg zu ihren Ackern enorme Umwege in Kauf nehmen müssen. Würde ein Palästinenser versuchen, eine Wegsperre in Form eines angeschütteten Erdhaufens zu beseitigen, hätte dies die Konfiszierung der Baugeräte sowie die Verhaftung des Bauern zur Folge.


Die „B“- und “C“-Gebiete der Westbank sind Bereiche, in denen Israel Siedlungen auf palästinensischem Boden errichtet hat. Die Straßenschilder sind hier in der Regel 3-sprachig beschriftet: Hebräisch, Arabisch, Englisch. Auf verschiedenen Fahrten in Richtung Jerusalem sehen wir viele Straßenschilder, auf denen der arabische Text übersprüht ist. Unser Taxifahrer erklärt uns, dass Jerusalem für Israelis nicht „verhandelbar“ sei, daher werden auch die Straßenschilder, meist von orthodoxen Juden, von arabischer Beschriftung „befreit“. In Jerusalem hören wir, dass das palästinensische Ost-Jerusalem verstärkt besiedelt werde. Palästinenser würden nach Möglichkeit "rausgekauft" oder enteignet, um israelische Siedler unterzubringen. Wir haben Gelegenheit, dazu mit Dr. Meir Margalit, Mitglied der Stadtverwaltung von Jerusalem, zu sprechen. Er räumt ein, dass im palästinensischen Ost-Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah jüdische Siedler versuchen, illegal die Häuser von 200 palästinensischen Familien durch Konfiszieren, Kauf mittels Strohmännern oder durch Beschlagnahmung bei Abwesenheit (z. B. Arbeit in Ramallah) in ihren Besitz zu bringen. Gemeinsam mit israelischen
Friedensaktivisten demonstrieren Palästinenser wöchentlich erfolglos gegen diese Vorgehensweise. Dr. Meir Margalit hebt die Schultern und sagt resignierend:„Wir leben in einer sehr schwierigen Zeit“.


Ein Leben, das immer hoffnungsloser wird

Nasser Gawi, ein betroffener Palästinenser, ist ebenfalls zugegen und fügt hinzu:"Sie wissen nicht, was für ein Leben wir hier führen.“ Damit meint er zum Beispiel, dass 70 % der Palästinenser in Ost-Jerusalem unter der Armutsgrenze leben. Dr. Margalit räumt die Missstände offen ein und führt aus, dass die Palästinenser 37 % der Bevölkerung in Ost-Jerusalem bilden, ihnen jedoch nur 8-9% vom städtischen Sozial-Budget zugeteilt würden. Aus „Siedler“-Sicht sieht das anders aus, wie von Bruce Bril aus der israelischen Siedlung Kfar Eldad nahe Betlehem zu hören ist. Er behauptet, nach Informationen aus der palästinensischen Universität Bir Zeit nahe Ramallah wären angeblich 64 % der Palästinenser damit einverstanden, sich in den Irak umsiedeln zu lassen. Als wir bei der genannten Universität nachfragen, ist von einer solchen Auskunft keine Rede. Bruce Bril jedenfalls will am liebsten ein
rein jüdisches Israel ohne Palästinenser. Wie zur Bekräftigung sagt er, seine Kinder würden streng jüdisch erzogen, um so die Tugenden der jüdischen Bürger zu schärfen. Doch wir stellen fest, dass es unter den Siedlern auch völlig andere Einschätzungen gibt. So erklären uns zwei junge Frauen, die aufgrund von israelischer Werbung in Russland nach Israel kamen, sie wollten so schnell wie möglich wieder aus den Siedlungen heraus. Die inzwischen auf 770 Kilometer angewachsene Mauer zwischen Israel und palästinensischem Gebiet zeige jeden Tag, dass etwas nicht stimme.


Die seltsamen Behandlungen an den Checkpoints

Den Eindruck, dass etwas nicht stimmt, dass sich eine gefährliche Stimmung
aufbaut, erleben wir selbst bei jeder Fahrt von Palästina nach Israel. Am Checkpoint Kalandia bei Ramallah müssen wir umkehren, an einem anderen Checkpoint kommen wir nach einer Stunde Umweg ohne große Verzögerung durch. Wir sehen, dass wir nicht allein mit diesen Erlebnissen sind: Eine Familie mit 3 Kindern will den Checkpoint passieren, muss aber nach ca. 40 Minuten Warten umkehren, da nicht der richtige Stempel für die Kinder im Pass ist. An einem anderen Tag erleben wir auf’s Neue Probleme an einem Checkpoint: Nach einer Stunde sind alle bis auf zwei Teilnehmer unserer Gruppe bereits auf der israelischen Seite. Die zwei Kollegen werden abgewiesen mit dem Hinweis, der Checkpoint werde nun geschlossen. Für uns bedeutet dies, dass alle, die den Checkpoint bereits passiert hatten, wieder zurück müssen. Also fahren wir erneut einen langen Umweg zu einem anderen Checkpoint, wo wir problemlos alle nach Israel eingelassen werden. Wir empfinden das Prozedere als Schikane und haben es in dieser Form in all unseren bisherigen Reisen in den Nahen Osten noch nie erlebt. Am Abreisetag planen wir nach diesen
Erlebnissen sicherheitshalber fünf Stunden Fahrt für eine Strecke von 80 Kilometern zum Flughafen ein. Das ist gut, denn wir haben wieder Probleme am Checkpoint Kalandia. Nach vielen Umwegen und langem Warten schaffen wir es pünktlich zum Flughafen und steigen mit gedrückter Stimmung in die Maschine. Meine Kollegin, die auf dem Hinflug ihr ganz besonderes Erlebnis hatte, erhielt ihr Gepäck in München nach fünf Tagen.


Flying Checkpoint –
übersprühte arabische Ortsnamen.


Ein typischer Blick aus dem Fenster:
Palästinenser (vorne) blicken auf eine auf ihrem Gebiet errichtete israelische Siedlung


Barrikaden bieten täglich neue unangenehme Überraschungen für Palästinenser, die zu ihrer Arbeit wollen. Wer versucht, sie wegzuräumen, wird verhaftet.


Gefällte Olivenbäume – Israelis bezeichnen viele Aktionen als „Sicherheitsmaßnahme“.



Warteschlangen am Checkpoint Kalandia: Wer hier zur israelischen Seite durchgelassen wird und wer nicht, das entscheiden die Sicherheitskräfte nach Belieben.

Im Checkpoint Kalandia : Kontrolle auf dem täglichen Weg zur Arbeit





Über den Dächern von Hebron.


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Altstadt in Hebron.


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Hausbesetzer in Sheikh Jarrah – Ost-Jerusalem.
 

 

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