Die palästinensischen Kinder von Schatila, im Süden Beiruts, haben zwar die Möglichkeit der Ausbildung, aber keine Chance auf ein qualifiziertes Berufsleben im Libanon.
Schatila, April 2009. Wer im Frühling 2009 den Libanon besucht, erlebt ein Land im Aufbruch.
Neue Straßen, neue Häuser, neue Grünanlagen - das Land ist auf dem besten Weg, seinen
alten Ruf als „Schweiz des Orients“ zu beleben. Von den vielfältigen Aktivitäten profitieren
aber nicht alle. Malk (5 Jahre), Isam (10 Jahre) und Bader (12 Jahre) Al-Saidi sind lebensfrohe
Kinder, die wie überall auf der Welt zur Schule gehen und gerne mit ihren Freunden spielen.
Ihre beiden älteren Schwestern sind aus dem Haus und leben jetzt in Beirut, der Hauptstadt
des Libanon, an die das 1949 vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes gegründete
Flüchtlingslager Schatila angrenzt. In Schatila leben heute 15.000 Menschen, es ist eins von
zwölf Flüchtlings-Camps im Libanon mit
insgesamt ca. 400.000 Bewohnern. In das ursprünglich für Palästinenser angelegte Lager sind
in den letzten Jahren auch sozial schwache Familien aus dem Libanon gezogen, insbesondere „Gypsies“, die in provisorischen Behausungen aus Zeltplanen und Plastik leben.
Katastrophale Infrastruktur im mittlerweile betonierten Flüchtlingslager Schatila
Die Infrastruktur in Schatila ist katastrophal. Schmale Gässchen, marode Bausubstanz, herunter hängende Drähte und defekte Wasserleitungen sind allgegenwärtig. Malk, Isam und Bader
leben zusammen mit ihrer Mutter Amal Al-Saidi in einer 40 qm großen Wohnung im Lager.
Das Ursprungsland ihrer Familie, Palästina, hat keiner von ihnen je kennen gelernt.
Gedenken an das durch christliche Phalangisten verübte Massaker von 1982
Die Familie Al-Saidi hat schon viel durchgemacht. 1948 füchtete die Großmutter aus dem
palästinensischen Jaffa in den Libanon. Der erste Ehemann von Amal Al-Saidi wurde 1982
beim Massaker in Schatila ermordet. Er und 500 weitere Opfer sind in einem Massengrab
beigesetzt, das in einer offenen Halle im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Hauses untergebracht ist. Auf einer großen Steintafel sind die Namen der Opfer eingemeißelt, Bilder und palästinensische Fahnen
schmücken die ansonsten kahle Halle. Im stillen Gedenken an ihre Angehörigen beten sie für
Frieden und die Möglichkeit zur Heimkehr nach Palästina.
Der zweite Mann, mit dem Amal Al-Saidi die drei Kinder hat, starb letztes Jahr. So muss die
48-jährige Amal allein für den Unterhalt ihrer Familie sorgen. Als Schneiderin verdient sie das
karge Einkommen, um ihre Kinder und sich selbst über Wasser zu halten. Die Familie hält fest
zusammen und Mutter Amal ist stolz auf ihre Kinder. Sie hat ihrem ältesten Sohn Bader eine
Geige geschenkt, auf der er fleißig übt. Musikalisches Interesse zeigt auch Baders kleinerer
Bruder Isam, der schon die ersten Griffe übt.
Palästinenser sind im Libanon staatenlos – und fast rechtlos
Die Kinder besuchen die Schule außerhalb des Lagers, weil diese statt 50 nur 30 Schüler hat.
Wenn sie die Grundschule beendet haben, können sie in Beirut auf das Gymnasium wechseln.
Aber egal, ob sie nach der 9. Klasse die Schule beenden oder das Gymnasium erfolgreich
abschließen: Es gilt für alle Flüchtlinge im Libanon eine starke Berufseinschränkung, die ihnen
meist nur eine Arbeit als Tagelöhner oder Hilfsarbeiter erlaubt. Die palästinensischen Flüchtlinge in Schatila sind staatenlos – und fast rechtlos.
Trotz der scheinbar hoffnungslosen Situation bewahrt sich die Familie Al-Saidi die Vision von
einem besseren Leben – zumindest für die Kinder, denn Amal Al-Saidi´s ganz persönliches
Schicksal ist ihre Krebskrankheit. Mit ihren Kindern spricht sie ganz offen darüber.
Der 12-jährige Bader, der einmal Arzt werden möchte, brachte seine Gefühle in einem Gedicht
an seine Mutter zum Ausdruck:
„Meine Mutter bereichert mein Leben mit Liebe und ihrer Schönheit, mit allem.
Meine Mutter bereichert mein Leben mit allen Dingen, die schön sind.
Ich wünsche für mich, für uns, dass sie in Sicherheit und in Frieden lebt;
sie schenkt uns ihr großes, leidenschaftliches Herz.
Und ihr Gesicht, wenn ich in ihr Gesicht schaue, fühle ich,
dass ich alle guten Dinge in ihrem Gesicht ablesen kann.
Wenn ich ihre Stimme höre, merke ich, wie sie damit die Welt bewegen kann.
Wenn ich sie anschaue, merke ich, wie ich Frieden in mir spüre.
O Gott, sie ist sehr lieb, meine Mutter, sie ist wirklich sehr lieb.
Ich habe eine große Liebe für sie; ich möchte immer mit ihr zusammen sein.
Ich möchte sie immer um mich haben – ich möchte sie immer küssen.“ |

Die frühere Zeltstadt ist Häusern aus Beton gewichen. Doch die Zustände sind katastrophal.
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Mutter Amal Al-Saidi (2.v.re) mit
ihren Kindern Bader (li), Malk (2.v.li) und Isam (re)
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Bader (li) und Isam am Balkon
ihrer Wohnung, dahinter das Lager der „Gypsies“.
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Das Massengrab für die
Opfer des Massakers in Schatila von 1982.
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Isam versucht sich an der Geige seines älteren Bruders Bader.
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Im „Haus der Kinder der Standhaftigkeit“ treffen sich
Kinder und Jugendliche aus dem Flüchtlingslager Schatila.
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Dicke Freunde - palästinensiche Flüchtlingskinder aus
Schatila.
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